Es gibt Bücher, die nicht nur den Verstand,
sondern auch die Seele anrühren. Zu diesen musste “Aus fernen Welten”
von Bruno H. Bürgel gezählt haben; es veranlasste einen etwa
Dreizehnjährigen dazu, die Lichtermenge am Firmament mit einem geliehenen
Fernglas zu betrachten. In dieser Zeit (1942) mussten ja alle Fenster mit
schwarzem Papier “verdunkelt” werden. Bekannt waren mir aus dem Buch der
“Große Wagen” und der “Orion”, die unglaubliche der Sternen war verwirrend!
Über der Zukunft lag ein dunkles Damoklesschwert, aber der Himmel
strömte (wie vielleicht schon den Babyloniern) Beruhigendes, an eine
höhere Ordnung und Macht Erinnerndes aus. Mit einem bikonvexen Brillenglas
- und dem Okular eines Theaterglases - entstand ein Fernrohr, das die Sterne
nach Galilei’scher Art heller zeigte. Dann erhielt ich vom Kosmos-Verlag
einen “Planetenzeiger” mit bunten Stecknadeln in der Ekliptikebene. Henselings
Sternbüchlein (Das spätere “Himmelsjahr”) und der Becker’sche
Atlas, in dem viel von sphärischer Astronomie stand, waren meine Lieblingslektüre.
Ein Höhepunkt war ein vom “Humboldt-Verein” (der sich mit fast allen
Naturobjekten, aber auch Kultur befasste!) arrangierter Besuch der Uni-Sternwarte.
Mit Begeisterung beobachtete ich damals aber auch eine “Invasion” des osteuropäischen
Seidenschwanzes im Breslauer Stadtpark.
Sternstunde 2: Kelheim nach dem Krieg, Donaubrücke
zerstört, am Donauufer lagen riesige Steinquader! Dort stellte ein
nun Zwanzigjähriger im Beisein von Freunden seinen “Zweizöller”
auf. Sie sahen das Siebengestirn und den Saturn. Der Ring war nicht nur
bei 65x, sondern sogar bei der halben Vergrößerung zu erkennen.
Weil einer der Freunde bei der Presse arbeitete, stand die Beobachtung
hernach sogar in der Zeitung. Später gab ich das etwas sekundäres
Spektrum zeigende Instrument im Tausch gegen ein Mikroskop fort, aber dann
stand doch wieder ein 60-mm-QUELLE-Refraktor, diesmal mit Feinbewegung,
auf dem Balkon. Er dient noch heute zur Sonnenprojektion. (Am 11.8.99 konnten
mehrere Exkursionsteilnehmer die fast ganz verfinsterte Sonne einfach vom
Projektionsschirm fotografieren. Nur der erhoffte Blick zur Korona war
uns verwehrt, doch war auch der zwischen Wolkenlücken tiefdunkle Himmel
mehr als beeindruckend.)
Es brauchte wiederum drei Jahre, bis sich dann
über ein Jahrzehnt währende, fast tägliche Himmelsbeobachtungen,
nun mit einem 90-mm-Refraktor, anschlossen. An einer Super-Polaris-Montierung
wurde der unbequem erscheinende RA-Ring durch eine Stundenwinkel-Bezifferung
(die gegenläufig ist) ergänzt (Stundenwinkel 0h ist die Südrichtung,
der “Meridian”). Zum Einstellen nach Koordinaten diente ein erst nach vielen
Vorversuchen entstandener Rechenschieber, auf welchen ich die Örter
der für mich interessanten Objekte eintrug. Die Deklinationen standen
auf der Rückseite. Es ließen sich 10 Minuten RA auf 5 mm Millimeterpapier
unterbringen, so dass der Rechenschieber handlich blieb. Man konnte noch
die Minute einstellen. Jetzt war die Ortssternzeit sehr leicht aus dem
Stundenwinkel eines passend stehenden Leitsterns zu bestimmen und eine
Uhr danach zu stellen. So konnten nun auch im Sucher nicht erkennbare Objekte
eingestellt, und, was noch mehr Spaß machte, beim Spazierensehen
“entdeckte Sternhaufen, Doppelsterne etc. ”ortsmäßig”, nach
ihren Koordinaten, bestimmt werden, was ihre Identifizierung erlaubte.
(In der heutigen Zeit nutzt der Amateur Geräte wie “Skymaster” oder
ähnliche High-Tech-Elektronik für solche Zwecke.) Ich erinnere
mich noch nach Jahren an “Brocchis Cluster”, der ganz zufällig gefunden
wurde, an Herschels Granatstern µ Cephei und andere. Herschel hatte
diesen als einen tiefroten Granat inmitten eines Kreuzes von Diamanten
bezeichnet - letztere sieht man aber nur bei schwacher Vergrößerung
in einem Gesichtsfeld, sie sind auch bei geringerer Öffnung nicht
so überzeugend hell.
Eine weitere “Sternstunde” war die Mars-Opposition
von 1988, bei der trotz tiefstehendem Mars nach Mitternacht so klare Sicht
auftrat, dass nicht nur Polkappe und Große Syrte, sondern auch die
Albedo-Formation Sabaeus Sinus sehr kontrastreich zu sehen waren. Erstere
sah man auch im 60-mm-Rohr. Ein einprägsames Erlebnis war eine im
“Himmelsjahr” nicht angekündigte gegenseitige Bedeckung zweier Jupitermonde,
ein unglaublich schönes Schauspiel, das weit mehr als 20 Minuten andauerte.
Mit einem größeren Instrument hätte man die Ein- und Austrittszeiten
genau bestimmen können. Als fast ewiger Bastler habe ich auch eine
Mikrometerskala (vom Mikroskop) in ein 5-mm (bzw 40-mm)- Okular gesetzt
und Messungen an Doppelsternen durchgeführt (was angeblich ohne Motor
gar nicht geht). Die gefundenen Werte waren erstaunlich nahe an den offiziellen
Angaben. Die Formeln hierzu gibt uns Dr. Ahnert in der “Kleinen Praktischen
Astronomie”. In einem Jahr war das “Himmelsjahr” vergriffen, ich wollte
aber dennoch Venus am Taghimmel einstellen. In Schroeders “Praktische Astronomie
für Sternfreunde” (1962) wird gezeigt, wie man den Ort eines Planeten
ohne höhere Mathematik mit Hilfe von Zirkel, Winkelmesser und Parallelenlineal
bestimmt. Das Letzter musste ich, es kostete mehrere Versuche, selbst basteln.
In jedem Fall stand die Venus dann tatsächlich am so berechneten Ort
zwischen den Wipfeln des Hohenpfahlberges, ich hatte sie nur des tiefen
Standes wegen mit bloßem Auge nicht gesehen.
Der schnelle Merkur wurde über Jahrzehnte
gesucht und nie gefunden. Schließlich wurde sein Ort zwischen den
“Ephemeridentagen” graphisch interpoliert und der Planet dann zweimal,
aber erst als beinahe “Vollmerkur”, aufgefunden. Er stand dabei etwa 7°
links der Sonne. Bei einer westlichen Elongation, bei der die Sonne bei
einer kleinen Unaufmerksamkeit ins Gesichtsfeld laufen könnte, wäre
das wahrscheinlich zu gefährlich gewesen. Eine Dämmerungsbeobachtung
ist wegen fehlender Sicht zum Horizont nicht möglich. Auch von Standorten
mit Horizontblick war das Auffinden vorher nie gelungen!
Genug der Plauderei über ein beinahe lebenslanges
Astro-Hobby. Viel Freude bereitet stets der Besuch auf Sternwarten, einmal
auch auf einer Wetterstation. Bei einem Besuch im Deutschen Museum konnten
die Sonnenprotuberanzen ausführlich in einem H-alpha-Ansatz betrachtet
werden. Hierzu wurde der 30-cm-Refraktor auf halbe Öffnung abgeblendet.
Und wenn dann vielleicht noch Jupiter groß wie ein Fünfmarkstück
im Fernrohr steht, wird sich auch ein begeisterter Sternfreund bewusst,
wie begrenzt seine eigenen Möglichkeiten oft sind. Er bewegt sich
- sozusagen - auf einer gehobenen Galilei’schen Ebene.
Auch aus diesem Grund kann man, ist man weniger
Amateurastronom als ganz einfacher Naturfreund, vom Anblick eines “Rasenden
Schwefeleis” aus dem Sippenauer Moor, des früher dort zu findenden
Sonnentaus, des skurrilen “Zackenrädchens” aus der Altmühl und
des etwas alienhaft wirkenden Sack-Rädertiers aus unserem alten Kanalhafennicht
weniger fasziniert sein als von demjenigen des Kugelhaufens M 13 in einem
Celestron 11. Kostet doch ein schon sehr gutes Mikroskop nur einen Teil
dessen, was der Astrofreund für einen Dreizöller bezahlen muss
- mit dem er aber noch keineswegs “amateurastronomischen Standard” erreicht.
So erschien mir auch die belebte Natur stet svoller Wunder, die auszuschöpfen
ein Leben gar nicht reicht. Eines Tages stieß ich auf die zwischen
“gekreuzten Polfiltern” auftretenden Interferenz-farben. Daraus resultierte
eine über Jahrzehnte währende Beschäftigung mit den Geheimnissen
der Kristalloptik. Das hat mich aber nie daran gehindert, ab und zu einen
Planeten einzustellen oder den Blick in ferne Sternwelten schweifen zu
lassen. Den schon eingangs erwähnten “Hauch von Ewigkeit” verspürt
man am ehesten (oder gar nur?) bei einem Blick in die Tiefen des Alls.