2 Wochen und 2 Minuten -
Das Sonnenfinsternis-Jugendlager Violau 99

Sa, 31. Juli, 12 Uhr
Wertingen...Welden... Altenmünster...Violau! Endlich angekommen! Ab jetzt warten zwei Wochen unter gleichgesinnten Jugendlichen auf mich. Die Teilnehmer kommen aus dem ganzen Bundesgebiet, der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich und sogar aus Marokko. Sechzehn Leiter bieten Arbeitsgruppen (AGs) an, in denen die Jugendlichen ihre Bildungslücken in Gebieten wie Naturkunde, Meteore, historische Astronomie, Kosmologie, Zeichnen, Sonnenenergie, Planeten, Sonne, Spektroskopie und Raumfahrt schließen konnten. Für Einsteiger gibt’s eine Einführung in die Himmelskunde. Das Organisationsteam des Camps besteht aus Uwe Reimann (Jugendreferent der VdS), Martin Thorn (vielleicht einigen vom AAC bekannt) und Oliver Jahreis. Ich selbst bin Leiter der Astrofotografie - AG in „Violau99". Beim Nichtastronomischen Programm (NAP) lernt man sich gegenseitig kennen und hat eine Menge Spaß.

So, 1. August bis Do, 5. August
Die AGs beginnen zum ersten Mal. Die Teilnehmer wechseln immer nach zwei Tagen in eine andere AG. Manche Gruppen machen darüber hinaus noch nach dem Abendessen mit ihrem Programm weiter. Bei gutem Wetter ist die Dachterrasse des Bruder-Klaus-Heimes (unser Wohnort) mit Fernrohren und Beobachtern total überfüllt. Die Sternwarte Violau, die zum Bruder-Klaus-Heim gehört, wird natürlich auch rege genutzt. Ob Mond, Planeten oder Deep-Sky - Warteschlangen von ein paar Metern Länge säumen die Fernrohre auf der Beobachtungsplattform.

Fr, 6. August
Heute steht ein Ausflug nach München auf dem Programm. Neben dem Deutschen Museum, IMAX oder Planetarium ist auch Shopping eingeplant. Denn in Violau gibt es leider keine Fotogeschäfte, wo man Filme für die Sonnenfinsternis bekommt. Die Busfahrer sind auch nett, wir werden ihre Hilfe später auch noch brauchen...

Sa, 7. August bis Di, 10. August
Die Sonnenfinsternis rückt näher! In den Arbeitsgruppen und im NAP wird schon mal alles für die zwei Minuten Totalität vorbereitet, die Generalprobe folgt am Montag abend. Die ARD strahlt einen in der Woche vorher aufgenommenen Bericht im „Tigerentenclub" über das Camp aus. Natürlich werden die Wetterprognosen mit Spannung verfolgt. Am hauseigenen Meteosat - Empfänger steht eigentlich immer irgend jemand herum und gibt grade seine persönliche Einschätzung ab. Die Nachrichten versprechen nichts Gutes: Wolken mit sonnigen Abschnitten, teilweise auch Regen. Die Pläne, aus Violau abzuhauen, nehmen immer konkretere Formen an. Das Busunternehmen hat zugesagt, uns notfalls auch in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch zu unserem Wunschort zu fahren. In Richtung französische Grenze sehen die Prognosen ein bißchen besser aus, also wird am Dienstag ein Erkundungsteam (Martin und Oliver) los geschickt, das einen geeigneten Platz sucht. Die Suche führt nach Landau (bei Karlsruhe) zu einem Sportflugplatz. Die lokalen Vorhersagen versprechen ein Aufreißen der Wolkendecke zur SoFi! Als Einstimmung gibt’s am Dienstag schon mal ein SoFi - T-Shirt von der VdS für jeden Teilnehmer. Am Mittwoch um 22 Uhr beschließen fast alle Teilnehmer, dass sie mitfahren.

Mi, 11. August, 2.40 Uhr
„Aufstehen! In einer Stunde fährt der Bus!" Das Jugendlager erwacht. Ich auch. Die Armbanduhr mit Wecker habe ich an die Deckenlampe gehängt, damit ich nicht wieder einschlafe, nachdem ich den penetranten Piepston zum Verstummen gebracht habe. Aber bei dem ganzen Trubel war der Wecker nicht erforderlich. Jetzt gilt es, möglichst schnell die ganze Ausrüstung in die Busse zu schaffen, damit man auf dem Weg noch ein wenig Zeit zum Schlafen hat. Außerdem müssen die Schlafmützen aus den Betten geholt werden.
3.40 Uhr
Natürlich kann man nicht schlafen, wenn die erste totale Sonnenfinsternis im Leben bevorsteht. Auf der Busfahrt unterhalten mich infolge dessen Pink Floyd und Dire Straits.
Ca. 6 Uhr
Pause auf einem Autobahnrastplatz der A8. Erstmal einen Parkplatz für die zwei vollen Busse suchen, denn an jeder Ecke stehen Wohnmobile, Pkws usw. mit schlafenden SoFi - Touristen.
Ca. 7 Uhr
Wir kommen in Landau an. Trotz des wolkenverhangenen Himmels wird die Ausrüstung aufgebaut, denn die meisten von uns sind optimistisch. Im Bus hat schon jeder den SoFi- Beobachtungsplan mit den sekundengenauen Zeiten aller sichtbaren Phänomene ausgefüllt.
Halb neun
Das Wetter ist unverändert schlecht. An ein paar Stellen gibt es kleine Wolkenlücken, doch manchmal spürt man auch den ein oder anderen Regentropfen. Der „Tigerentenclub" ist uns nach Landau gefolgt und hat gleich zwei Fernsehteams dabei. Eine Fernrohrmontierung verliert eine Mutter, die man nur mit Hilfe von Sekundenkleber wieder provisorisch befestigen kann.
Neun
Das Wolkenloch wird laaangsam größer.
Halb zehn
Das Loch wird zu unserem Entzücken immer noch größer, langsam schimmert die Sonne durch. Vom Baumarkt in Landau wurde inzwischen Sekundenkleber und eine Rolle Rauhfasertapete (für fliegende Schatten) besorgt. Es ist genug für jeden da! Der Platz wird langsam voll, aber zum Glück ist er groß genug.
Viertel vor Zehn
Die Sonne ist sichtbar! In der einzigen Wolkenlücke, genau an der richtigen Stelle! Alle Uhren werden synchronisiert.
11:10:44

Irgend jemand schreit: „Noch zehn Sekunden". War wohl verrechnet, First Contact ist erst um 11:11:54
11:11:44
Jetzt aber: „Noch zehn Sekunden!"
11:11:54
Aus verschiedenen Mündern: „First Contact" - „Erster Kontakt" ... Man schaut durchs Fernrohr, sieht aber nix. Dann, 10 bis 15 Sekunden später knabbert der Mond die Sonne sichtbar an.
Bis 12:10
Alle verfolgen gebannt, wie sich der Mond immer weiter vor die Sonne schiebt. Die Wolkenlücke bleibt, doch manchmal wird die Sonne durch vorbeiziehende Wolken verfinstert. Die Spannung steigt.
12:15
Das Bedürfnis zu pinkeln wird immer größer. Es muss unbedingt noch vor der Totalität gestillt werden. Das Klo des Fliegerheims ist wegen dem Massenandrang zugesperrt, aber zum Glück ist ein kleines Wäldchen in der Nähe... (man trifft sich). Es wird merklich dunkler.
12:30
Die Sonnensichel krebst am Rand der Wolkenlücke herum, wird immer leicht bedeckt, dass man ohne Filter raufschauen kann - dann schiebt sich eine Wolke davor...
12:30:27
die Landschaft im Westen wird dunkler, dort, wo vorher noch Hügel von der Wolkendecke zu unterscheiden waren, ist plötzlich nichts mehr. Die Sonne versteckt sich immer noch...
12:30:37
Von den fliegenden Schatten ist überhaupt nichts zu sehen. Man reißt die Filter von den Objektiven und wirft sie irgendwohin. Gebannt starre ich durchs Fernglas auf die kaum erkennbare Sonnensichel.
12:30:57
Wie es immer dunkler wird, merke ich durchs Fernglas nicht, dafür aber, wie die Wolke die Sonne langsam freigibt...
12:31:07
„Noch zehn Sekunden!" Irgendein Ignorant starrt selbstlos zur Information des Platzes auf seine Uhr statt in die Sonne.
12:31:12
Die Sichel verformt sich in Sekunden zu einem leuchtenden Punkt! Ich verwerfe mein gesamtes Fotoprogramm und beschließe, den Diamantring aufzunehmen.
12:31:17
Totalität! WOW! Plötzlich leuchtet die Korona auf! Pünktlich hat die Wolke die Sonnenscheibe verlassen. Meine Pulsfrequenz geht in die Höhe, als ich durchs Fernglas die in sanftem Pink schimmernden Protuberanzen erkenne und der Strahlenkranz der Korona eindrucksvoll vor dem blauen Himmel steht. Ich drücke irgend jemandem mein Fernglas in die Hand und mache ein paar Fotos durchs Leitrohr. Dabei vergesse ich natürlich alle Belichtungszeiten und dass die Kamera eine Spiegelvorauslösung hat. Macht nix, jetzt wird erst mal durchs Teleskop geschaut. Den Anblick der feinen Fäden der Protuberanzen, die sich um den gesamten Mondrand tummeln, vor der Korona mit ihren Streamern, werde ich wohl nie im Leben vergessen. Das will ich auch im Bild festhalten und mache deshalb noch eine Fotoserie, während ich mir das ganze Schauspiel mit dem Auge anschaue. Man sieht Venus, doch Merkur ist hinter Wolken verborgen. Als ich mit der Fotoserie fertig bin, erschallt ein Ruf: „Noch 30 Sekunden!" Den dritten Kontakt beobachte ich noch im Fernrohr. Beeindruckend, wie zuerst der Mondrand immer heller zu werden erscheint und schließlich das Licht durch die Mondtäler bricht und den Diamantring bildet. Nur leider verpasse ich den Perlschnureffekt...
12:33:40
„Fliegende Schatten" schreit jemand. Wo ist die Tapete? Dort flimmern für ein paar Sekunden schwache Schimmer über die rauhen Fasern!
12:34
Zwei Minuten sind extrem kurz! Die Leute springen über den Platz, umarmen und küssen sich. Die Sonnensichel ist total unwichtig, das Gesehene beeindruckt so sehr, dass man sich sofort austauscht: „Ich hab’ die Perlschnur gesehen! Und den Diamantring auch!" und so ähnlich... Applaus erschallt, wir tanzen und singen. Natürlich wird sofort in Violau angerufen, die Meldung: Es gewittert! Wir waren froh, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Als ob sie ein Weltmeisterschafts - Gewinntor geschossen hätten, stürzen wir uns zuerst auf Uwe und dann auf Martin und Oliver, und schließlich auf die Busfahrer...
12:40
Die ersten fangen an abzubauen, die zweite partielle Phase lockt keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor.
ab 13:00
Die Wolkendecke hat sich geschlossen, es beginnt zu regnen... (Hatten wir ein Glück!). Auf dem Rückweg auf der A8 besichtigen wir einen Stau (zum Glück nur in der Gegenrichtung).
11. August, abends
Die ersten Videobilder der SoFi stimmen uns für die Party ein, die Stimmung ist immer noch so gut wie in Landau.

12. und 13. August
Die letzten Tage vergehen viel zu schnell. Reisen zu den nächsten totalen Sonnenfinsternissen werden erörtert, Adressen ausgetauscht und Pläne für das nächste große Jugendlager geschmiedet. Viele Teilnehmer sind auch bereit, dafür als Leiter zu arbeiten. Wenn auch von den Lesern jemand Interesse an astronomischen Jugendbegegnungen hat, kann er weitere Informationen bei Uwe Reimann, Granitweg 3, 73760 Ostfildern erhalten (Email: uwe.reimann@gmx.net). Wir müssen uns schon am 13. von unseren französischen Freunden verabschieden. Die Abschlußparty sorgt ein letztes Mal für die richtige Jugendlager - Atmosphäre.

14. August
Es geht nach Hause. Da fließt schon die eine oder andere Abschiedsträne. Aber wir sehen uns ja spätestens 2001 in Afrika wieder und natürlich auf dem nächsten Jugendlager. An dieser Stelle ein Hinweis: Ostern 2000 findet wieder ein Astronomisches Abenteuercamp = AAC statt. Infos gibt’s bei Martin Thorn (marthorn@aol.com)

Dank gebührt außer den Leitern von Violau99 auch:
· der Belegschaft des Bruder-Klaus-Heimes für den schönen Aufenthalt,
· den Firmen Vehrenberg für die vielen Bücher, Poster, Sternkarten u.ä.
· Astrocom für die wertvollen Leihfernrohre,
· Baader Planetarium für den großen Vorrat an Sonnenfilterfolie,
· dem Provider baynet.dillingen für den Internetzugang und
· der Telekom Augsburg für die Gutschrift der Telefonkosten
· der Vereinigung der Sternfreunde e.V. (VdS) für die SoFi - T-Shirts, den PC und das C8
· und nicht zuletzt dem „Tigerentenclub" für seine recht gut gemachten Beiträge

Benjamin Mirwald



Und hier gibt's Fotos der Finsternis...


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